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Materialzertifikate

EN 10204:2004

Metallische Erzeugnisse – Arten von Prüfbescheinigungen

EN 10204 definiert vier Arten von Prüfbescheinigungen (Typen 2.1, 2.2, 3.1, 3.2) für metallische Werkstoffe. Diese unterscheiden sich im Grad der unabhängigen Prüfung und sind die Grundlage für die Materialrückverfolgbarkeit nach EN 1090. Ohne das richtige Zertifikat ist eine normkonforme Verarbeitung nicht möglich.

Pflicht für EN 1090

Ab Ausführungsklasse EXC2 sind mindestens 3.1-Zertifikate für Grundwerkstoffe (Bleche, Profile) UND Schweißzusatzwerkstoffe (Drähte, Stäbe) zwingend erforderlich.

Prüfbescheinigungs-Typen im Detail

Die Wahl des richtigen Zertifikatstyps ist entscheidend für Compliance und Kosten

2.1
Werksbescheinigung
Kostenlos/günstig

Einfachste Form - Hersteller bestätigt nur Übereinstimmung mit Bestellung ohne Prüfergebnisse

Prüfung

Keine unabhängige Prüfung

Typisch für

Standard-Bauteile, unkritische Anwendungen, Massenware

EN 1090

Nicht ausreichend ab EXC2

✓ Vorteile

  • Kostenlos
  • Schnell verfügbar
  • Minimaler Aufwand

✗ Nachteile

  • Keine Prüfergebnisse
  • Keine Rückverfolgbarkeit
  • Für EN 1090 unzureichend
2.2
Werkszeugnis
Günstig

Prüfergebnisse nach Norm dokumentiert, aber keine unabhängige Prüfung durch Dritte

Prüfung

Werkseitige Prüfung (nicht unabhängig)

Typisch für

Baustahl S235, unkritische Konstruktionen, Nicht-EN-1090

EN 1090

Nicht ausreichend ab EXC2

✓ Vorteile

  • Prüfergebnisse enthalten
  • Günstig
  • Chemische Analyse dokumentiert

✗ Nachteile

  • Keine unabhängige Prüfung
  • Für EN 1090 ab EXC2 unzureichend
3.1
Werkszeugnis (unabhängig geprüft)
Standard (oft im Preis inklusive)

Standard für EN 1090 - Prüfung durch werksunabhängige, aber werksangehörige Person bestätigt

Prüfung

Unabhängiger Prüfer des Herstellers

Typisch für

S355, EN 1090 Standard, Stahlbau, Bauwesen

EN 1090

Pflicht ab EXC2 für Grund- und Zusatzwerkstoffe

✓ Vorteile

  • Unabhängige Prüfung
  • EN 1090-konform
  • Oft inklusive
  • Vollständige Rückverfolgbarkeit

✗ Nachteile

  • Teurer als 2.x
  • Längere Lieferzeit möglich
3.2
Abnahmeprüfzeugnis
Teuer (externe Prüfkosten)

Höchste Stufe - Prüfung durch Vertreter des Käufers oder notifizierte/akkreditierte Stelle (z.B. TÜV)

Prüfung

Externe unabhängige Prüfstelle (TÜV, Materialprüfamt)

Typisch für

Druckbehälter, Offshore, Kernkraft, sicherheitskritische Bauteile

EN 1090

Nur bei speziellen Anforderungen (z.B. Auftraggeber-Forderung)

✓ Vorteile

  • Höchste Sicherheit
  • Externe Prüfung
  • Maximale Glaubwürdigkeit

✗ Nachteile

  • Teuer
  • Lange Lieferzeiten
  • Nur bei besonderen Anforderungen nötig

Materialrückverfolgbarkeit (Traceability)

Was muss auf einem 3.1-Zertifikat stehen? Diese Angaben sind Pflicht:

!

Chargen-Nummer(Kritisch)

Jede Schmelze hat eine eindeutige Nummer (z.B. 523847). Muss auf Zertifikat und Material markiert sein.

!

Chemische Analyse(Kritisch)

C, Si, Mn, P, S, Cr, Ni, Mo, Cu, N und weitere Legierungselemente in Gewichts-%

!

Mechanische Eigenschaften(Kritisch)

Zugfestigkeit (Rm), Streckgrenze (ReH), Bruchdehnung (A), Kerbschlagarbeit (KV) bei Prüftemperatur

!

Werkstoff-Nummer(Kritisch)

z.B. 1.0570 für S355J2, 1.0038 für S235JR - eindeutige Zuordnung nach EN 10027

Abmessungen

Dicke, Breite, Länge, Gewicht - muss mit Lieferung übereinstimmen

Wärmebehandlung

Normalisiert (N), vergütet (QT), warmgewalzt (+AR) etc. - beeinflusst Eigenschaften

Chargenverfolgung in der Praxis

Jedes Bauteil muss mit der Chargen-Nummer gekennzeichnet sein (Schlagstempel, Farbmarkierung, Anhänger). Bei Audits wird stichprobenartig geprüft:

  1. Auditor wählt zufälliges Bauteil im Lager/Produktion
  2. Liest Chargen-Nummer ab (z.B. 523847)
  3. Fordert zugehöriges 3.1-Zertifikat an
  4. Prüft: Werkstoff, Abmessungen, mechanische Eigenschaften korrekt?

Kann das Zertifikat nicht vorgelegt werden oder passt nicht zur Charge: Sofortige Nichtkonformität.

Häufige Fehler bei Materialzertifikaten

1

Falsche Zertifikatstyp bestellt

Hoch

2.2 statt 3.1 bestellt für EN 1090 EXC2-Projekt. Folge: Material nicht verwendbar, Neubeschaffung erforderlich.

2

Chargen-Nummer auf Bauteil fehlt

Hoch

Zertifikat vorhanden, aber keine Markierung auf dem Material. Rückverfolgbarkeit nicht möglich = nicht konform.

3

Zertifikat passt nicht zur Charge

Sehr hoch

Charge 123456 verbaut, aber Zertifikat für Charge 123457. Audit-Risiko: Sofortige Nichtkonformität.

4

Keine Archivierung der Zertifikate

Mittel

Nach 5 Jahren keine Zertifikate mehr auffindbar. Bei Reklamation oder Audit: Keine Nachweismöglichkeit.

5

Schweißzusätze ohne 3.1

Hoch

Nur Grundwerkstoffe mit 3.1, aber Schweißdrähte/-stäbe nur mit 2.2. EN 1090 fordert 3.1 auch für Zusatzwerkstoffe.

Häufige Fragen zu EN 10204

Welches Zertifikat brauche ich für EN 1090?

Ab EXC2: Mindestens 3.1 für Grundwerkstoffe (Bleche, Profile) UND Schweißzusatzwerkstoffe (Drähte, Stäbe, Pulver). 3.2 ist nur bei speziellen Anforderungen nötig (z.B. Druckbehälter, Offshore). EXC1: 2.2 ausreichend, aber 3.1 empfohlen.

Was ist der Unterschied zwischen 3.1 und 3.2?

3.1: Werksunabhängiger Prüfer, der aber zum Hersteller gehört, bestätigt die Prüfergebnisse. 3.2: Externer Prüfer des Käufers (z.B. TÜV, Materialprüfamt) prüft vor Ort beim Hersteller. 3.2 ist deutlich teurer (Prüfkosten + Reisekosten) und verlängert Lieferzeiten um Wochen.

Muss ich für jede Charge ein Zertifikat haben?

Ja, für jede Materialcharge (Schmelze/Guss) ist ein separates 3.1-Zertifikat erforderlich. Chargen-Rückverfolgbarkeit ist EN 1090-Pflicht. Sie müssen jederzeit nachweisen können, aus welcher Charge ein verbautes Bauteil stammt.

Was passiert, wenn ich nur 2.2 statt 3.1 habe?

Bei EN 1090 ab EXC2: Material ist nicht konform und darf nicht verarbeitet werden. Bei Audits: Sofortige Abweichung. Folge: Neubeschaffung mit 3.1 oder Herabstufung auf EXC1 (falls technisch möglich). Kostenrisiko: Materialkosten + Verzögerung.

Wie lange muss ich Zertifikate aufbewahren?

Mindestens 10 Jahre nach Projektabschluss. Bei Bauwerken mit längerer Gewährleistung entsprechend länger. Empfehlung: Digitale Archivierung unbegrenzt. Bei Reklamationen oder Gutachten sind Zertifikate auch nach Jahren noch erforderlich.

Kann ich 3.1-Zertifikate nachträglich bekommen?

Theoretisch ja, praktisch schwierig und teuer. Der Stahlhändler muss beim Hersteller nachfragen, ob die Charge noch nachzertifiziert werden kann. Oft nicht mehr möglich, wenn Charge schon alt ist. Kosten: 50-200 EUR pro Zertifikat.

Was mache ich, wenn Zertifikat und Material nicht übereinstimmen?

Sofort Lieferant kontaktieren. Häufig: Falsche Zuordnung beim Versand. Lieferant muss richtiges Zertifikat nachliefern. Prüfen: Stimmt Chargen-Nummer auf Material mit neuem Zertifikat überein? Falls nicht: Material zurückschicken.

Brauche ich auch für Schrauben 3.1-Zertifikate?

Für tragende Schrauben (HV-Schrauben, Passschrauben) nach EN 1090: Ja, 3.1 erforderlich. Für nicht-tragende Verbindungsmittel: Oft 2.2 ausreichend, aber projektabhängig. Wichtig: Auch für Muttern, Scheiben und andere Kleinteile können Zertifikate gefordert werden.

Materialzertifikate digital verwalten

OCR-Erkennung für PDF-Zertifikate, automatische Chargenverfolgung, Projekt-Zuordnung und Archivierung für Audits